1958 fand 'Friedrich Ritter' in Agua Clara, in Bolivien Provinz Florida Department Samaipata, einen von Felsen herabwachsenden, goldgelb bestachelten Cereus (F. Ritter, 'Winteria, Eine neue Kakteengattung aus Bolivien'). Friedrich Ritter hielt ihn zuerst für einen Cleistocactus, aber nach einem Blütenvergleich wurde ihm klar, dass es sich bei diesem Fund um eine neue Gattung handeln musste. Dies umso mehr, als sich die Blüte durch eine bis dahin bei Kakteen nicht bekannte zweite innere Blütenkrone auszeichnete. Die neue Gattung nannte F. Ritter nach seiner Schwester Hilde Winter, in Winteria aureispina. In der Folgezeit wurde die Pflanze mehrfach umbenannt, um schließlich ihren endgültigen Namen mit Hildewintera aureispina zu erhalten. Nach heutiger Auffassung steht die Hildewintera aureispina den Cleistocacteen nahe, da Hildewintera, unter anderem, die gleichen leicht schiefsaumigen, zygomorphen Blüten, wie bei Borzikakteen aufweist. Für besondere Beachtung sorgte in der Fachwelt und bei den Liebhabern die innere Blütenkrone, auch (Paracorolla, Nebenkrone oder Nebenperigon) genannt, wie sie bis heute bei keiner weiteren Kakteengattung bekannt wurde. Obwohl die innere Blütenkrone relativ klein ausgebildet ist, macht sie doch den Reiz aus, der von dieser Blüte ausgeht.
Schon frühzeitig wurden mit der Hildewintera aureispina die ersten Kreuzungen unternommen. So konnte ich bereits 1963 in der Kakteengärtnerei Angela Thorsson in Borstel bei Hamburg, eine prachtvolle Kreuzung zwischen Hildewintera aureispina x Bolivicereus samaipatianus bewundern. Eine überaus reich blühende ca. 1,50 m hohe Pflanze, von der ich leider keine Vermehrung erhielt, da es sich um das einzige Exemplar handelte.
Abb.1 'Helms Neue'
Nicht wenig überrascht war ich, als ich bei einem meiner Besuche bei dem Kakteenfreund, Hermann Helm in Aschach, zwei Pflanzen aus einer Kreuzung Hildewintera aureispina x Chamaecereus silvestrii (Hessenland) sah. Die schön blühende Kreuzung, 'Helms Neue', hatte eine dunkle innere Blütenkrone, die sich kontrastreich gegen die übrige
sehr interessante Blüte abhob. Eine der Pflanzen wurde dann auf einen großen ausgepflanzten Trichocereus gepfropft. Was sich daraufhin bei Herrn Helm entwickelte, war ein Blütenwunder von Mai bis November eines jeden Jahres.
Abb.2 'Helms Neue'
Im Echinopsis Hybriden Rundbrief(1) berichtet Eckhard Meier über eine Kreuzung zwischen Hildewintera aureispina x Echinopsis eyriesii die durch Hans Günther Noller aus Bischofsheim, vor Jahren gezogen wurde und inzwischen unter Liebhabern weit verbreitet ist. Insbesondere die Kreuzung von H. Helm regte mich dazu an, ebenfalls Kreuzungsversuche mit der Hildewintera aureispina zu unternehmen. Hierzu boten sich die Echinopsen und Trichocereen besonders an, da ich diese Arten wegen ihrer schönen und großen Blüten besonders schätze. Als Zuchtziel hatte ich bei den Kreuzungen die innere Blütenkrone im Auge, da sie sich, wie mir bei der Helmschen Kreuzung aufgefallen war, offensichtlich dominant vererbt. In der Folgezeit entstanden bei mir Hildewintera Kreuzungen, die ich nachfolgend vorstellen möchte:
Abb.3 'Engenhahn'
Alle bisher bei mir zur Blüte gekommenen Hildewintera Kreuzungen entstanden in den Jahren 85/86 und wurden im darauf folgenden Frühjahr mit anderen Kakteensamen ausgesät. Es zeigte sich, dass die Hildewintera Kreuzungen mit ihren Artgenossen im Wuchs gut mithielten und ihnen meine extremen Anzuchtbedingungen nichts ausmachten. Nachdem der erste Winter überstanden war, fingen meine 'Winteriopsis' wie ich sie nenne, so richtig zu wachsen an. Das Stachelkleid entwickelte sich prächtig und bereits Ende des zweiten
Jahres wurden die Pflanzen einzeln in Töpfe verpflanzt. Jetzt konnte man auch bereits deutlich den Einfluss der Väter erkennen. Die Kreuzungen bei denen ich Echinopsen und Helianthocereen verwendete wuchsen ebenfalls gut, wenngleich sie nicht mit den Vorgenannten mithalten konnten. Ende des dritten Jahres stellte ich alle Hildewintera Kreuzungen zur Überwinterung direkt unter das Glas meines Gewächshauses und wartete auf das Frühjahr. Zu diesem Zeitpunkt war die Kreuzung, bei der ich Trichocereus als Vater verwendet hatte, bereits 35 cm hoch mit einigen stattlichen Seitentrieben. Ich glaube jeder Kakteenfreund kennt die sich steigernde Ungeduld im Frühjahr, wenn die Sonne langsam höher steigt. Jedes Wochenende stand ich auf der Leiter um meine Zöglinge unter dem Glas zu inspizieren. Wie groß war die Freude, als ich Mitte April die ersten noch unscheinbaren Knospenansätze an einer Pflanze erkennen konnte.In der Folgezeit wurden die Pflanzen dann von ihrem Hochsitz auf Gewächshaus Tische befördert, um sie nicht unnötig den extremen Bedingungen direkt unter dem Glas auszusetzen.
Abb.4 'Salvador Dali'
Die Spannung stieg mit jeder Woche, in der die Knospen deutlicher auszumachen waren. Auch einige andere Hildewintera Kreuzungen zeigten inzwischen Knospenansätze, aber die übrige Sammlung lenkte mich in der Folgezeit derart ab, dass ich mit Überraschung eines Morgens die erste Blüte einer Hildewintera Kreuzung zu sehen bekam. Die Blüte (Abb. 4) ähnelte den mir bis dahin bekannten Kreuzungen. Deutlich war die verstärkte und größere innere Blütenkrone zu erkennen, ansonsten glich der Habitus der Pflanze nicht mehr einer Hildewintera aureispina. Der Vater, eine Echinopsis Hybride, hatte deutlich seine Erbeigenschaften im Habitus der Pflanze hinterlassen. Sehr kurze dichte Bestachelung und ein, im Verhältnis zu den anderen Kreuzungen, schwächerer Wuchs kennzeichneten den Habitus der 'Engenhahn' aus. Für mich als Züchter war dies nicht unbedingt das was ich von einer derartigen Kreuzung erwartete, verglichen mit den herrlichen Blüten der Tricho- und Echinopsis Hybriden. Ich vertröstete mich auf die folgenden Blüten und ansonsten würden die nächsten Jahre zeigen, wie diese Kreuzung zu bewerten sei.
Abb.5 'Andenken an Friedrich Ritter'
In der Zwischenzeit hatten sich die Knospen an der Kreuzung Hildewintera aureispina x Trichocereus Hybr. 'Gräsers Überraschung' zu stattlicher Größe entwickelt. Eines Nachmittags, als ich bei herrlichem Sonnenwetter, entnervt von der Arbeit, zum Gewächshaus kam, leuchteten mir schon von Weitem die dunkelorange farbigen Blüten entgegen. Wie gebannt blieb ich stehen und konnte diese Blüten kaum fassen. Die 10 cm großen dunkelorange farbigen Blüten hoben sich kontrastreich von der einem großen Bolivicereus ähnlichen Pflanze ab. Die äußeren Blütenblätter waren wie bei der Hildewintera stark nach hinten gekrümmt und leicht in sich gedreht. Darüber erhob sich die innere Blütenkrone in einer mit der Mutterpflanze nicht mehr zu vergleichenden Größe und Schönheit. Da es Freitag war, freute ich
Abb.6 'Andenken an Friedrich Ritter'
mich auf den Samstag, in der Hoffnung diese Blüte am nächsten Tag auch noch bewundern zu können. Wie groß war meine
Überraschung, als ich am nächsten Tag eine nochmals vergrößerte Blüte mit total veränderter innerer Blütenkrone vorfand, die
'Andenken an Friedrich Ritter' (Bild 6). Die innere Blütenkrone hatte sich vollkommen verändert.
Die Blütenblätter waren breiter geworden und hatten sich weit nach hinten zurückgebogen. Der Farbton hatte sich von orange in karminrot verändert und
gab damit der Blüte ein vollkommen neues Aussehen.
Die Blüte öffnet am ersten Tag als rein dunkelorange farbige Blüte. Am folgenden Tag vergrößert sich die ohnehin schon stattliche innere Blütenkrone
zu einer herrlichen karminroten Blütenkrone. Auf dem Bild ist dies deutlich zu erkennen. Bei der linken Blüte handelt es sich um eine Tagesblüte, wogegen
die beiden rechten Blüten bereits am zweiten Tag offen sind. Hier schiebt sich die innere Blütenkrone derart in den Vordergrund, dass man annehmen könnte,
es handele sich hier um die eigentlichen Blütenblätter. Auch die Staubgefäße verändern ihre Farbe von orange zu einem Dunklen, die Blüte dominierenden,
karminrot.
Erfreut stellte ich dann im Laufe des Sommers fest, dass meine anfänglichen Befürchtungen, die Kreuzung würde das einmalige Blütenintervall der Trichocereen übernehmen, nicht zutraf. Wie bei der Hildewintera aureispina, erscheinen die Blüten in Intervallen den ganzen Sommer über bis in den November hinein und halten je nach Witterung ca. drei Tage. Hier ist anzumerken, das ich als Vater eine von Robert Gräser gezogene, bisher nicht veröffentlichte, Hybride aus Trichocereus thelegonus und seiner bekannten SCHIGRA Kreuzung der 'Pisac' verwendete. Diese Kreuzung, 'Gräsers Überraschung', zeichnet sich
Abb.7 'Andenken an Friedrich Ritter'
durch hohe Blühwilligkeit und einer sehr schönen orangefarbenen Blüte aus. In dieser Hybride hat sich eine Eigenart der Gräserschen SCHIGRA Kreuzung vererbt. Bei der SCHIGRA Kreuzung öffnet die Blüte am ersten Tag mehr glockenförmig, um dann am zweiten Tag die Blüte weit ausladend zu öffnen und dabei die Farbe von fleischfarben orange zum rosa karmin zu verändern. Die gleichen Eigenschaften sind bei besagter Thelegonus Hybride um einiges verstärkt vorhanden, was sich wiederum in der Hildewintera Kreuzung dominant vererbt hat. Eine Eigenschaft, die den besonderen Reiz dieser Blüten ausmacht. Nach diesem erfreulichen Ergebnis betrachtete ich die Blüten der anderen auch sehr schönen, aber nicht so großblütigen Hildewintera Kreuzungen, umso kritischer.
Abb.8 'Andenken an Rudolf Herzog'
Der Sommer, der es so gut gemeint hatte, näherte sich dem Herbst. Das sonnige Oktober Wetter zauberte an einer weiteren Hildewintera Kreuzung Blüten hervor. Ich hatte die Knospen bereits seit Längerem beobachtet. Sie unterschieden sich von meinen anderen Hildewintera Kreuzungen erheblich. Die Knospe war kürzer und dicker und erst als die Knospen größer wurden, stellte sich auch der typische, leicht schiefsaumige Wuchs ein. Meine Begeisterung war unbeschreiblich, als
Abb.9 'Andenken an Rudolf Herzog'
ich an einem sonnigen Herbsttag im Oktober eine Pflanze erlebte, die alles übertraf, was ich zu hoffen gewagt hatte. Im frühmogendlichen Sonnenschein hatte die Pflanze sechs herrliche, bei Kakteen noch nicht gesehene Blüten, geöffnet. Von dem dunklen rotbraunen Stachelkleid der Pflanze, hob sich die kompakte hell fleischfarbene Blüte mit ihren dunkleren äußeren Blütenblättern ab. Die innere Blütenkrone war von einer Kompaktheit und Größe, dass man nun wirklich von einer zweiten Blütenkrone sprechen konnte (Bild 9, 10). Am zweiten Tag öffnete sich die Blütenkrone noch etwas weiter, behielt aber ihre geschlossene kompakte Form. Vor diesem Hintergrund hoben sich die braunvioletten Staubgefäße dekorativ hervor, Form und Aufbau der Blüte verraten deutlich den Vater, eine Gräsersche Helianthocereus
Hybride. Deutlich ist der kompakte, symmetrische und wohlgeformte Aufbau der Helianthocereus Blüten zu erkennen. Dies zeigt sich auch besonders deutlich im gedrungenen Wuchs und der dunkel rotbraunen, mit längerem Mittelstachel versehenen Bestachelung. Die herrliche Bestachelung hatte der Pflanze bei mir bereits den Spitznamen 'Fuchsschwanz' eingebracht. Letztendlich aber gab ich dieser Kreuzung den Namen 'Andenken an Rudolf Herzog'.
Abb.10 'Andenken an Rudolf Herzog'
Bei so viel Schönheit war es am Ende dann schwer, die anderen Hildewintera Kreuzungen noch gerecht einzustufen und einigermaßen objektiv ihre Qualität zu beurteilen. Es ist sicherlich verfrüht, diese Kreuzungen abschließend beurteilen zu wollen. Deutlich erkennbar ist bei allen Kreuzungen, dass Hildewintera erfreulicher Weise gewisse Merkmale dominant vererbt. Im Besonderen sind dies die innere Blütenkrone und die Form der äußeren Blütenblätter, sowie in gewissem Umfang auch die Blütenfarbe. Als besonders erfreulich ist festzustellen, dass die beinahe ganzjährige Blühwilligkeit der Hildewintera sich in allen Kreuzungen vererbt hat. Eine Eigenart, die ich besonders schätze, insbesondere, in der blütenarmen Frühjahrs- und Herbstzeit.
Abb.9 'Alexander von Humboldt'
Der Einfluss der eingekreuzten Väter zeigt sich primär in der vergrößerten Blüte und in der Größe der inneren Blütenkrone. Wuchs und Bestachelung werden offensichtlich durch beide Elternteile zu gleichen Teilen beeinflusst und können einem Elternteil nicht eindeutig zugeordnet werden. Die verschiedentlich beklagte Verkorkung von Hildewintera Kreuzungen(2) ist meines Erachtens auf ungünstige Kreuzungspartner bei den Vätern zurückzuführen. Bei meinen Kreuzungen konnte ich dieses Manko nicht feststellen, ganz im Gegenteil, alle Pflanzen zeichnen sich durch fleckenlosen und gesunden Wuchs aus. Der interessante neue Blütenaufbau bei diesen Hildewintera Kreuzungen hat mich veranlasst, mit dem bestehenden Material weitere Kreuzungen vorzunehmen, in der Hoffnung, nochmals eine Vergrößerung der inneren Blütenkrone zu erzielen.
Abb.9 'Alexander von Humboldt'
Der Artikel 'Die Schönheit der Hildewintera Hybriden', wurde 1990 in der 'Kaktusblüte' der Wiesbadener Kakteenfreunde veröffentlicht.
Literatur | ||
---|---|---|
Eckhard Meier: | Echinopsis Hybriden Ringbrief Nr. 11 | |
Dr. Gröner: | Echinopsis Hybriden Ringbrief Nr. 16 | |
Friedrich Ritter: | Winteria. Eine neue Cereengattung aus Bolivien, KuaS, 1962(1) |