ich lebe in der Serra dos Órgãos (zu deutsch: Orgel-Gebirge), ungefähr 100 km von Rio de Janeiro entfernt, wo Schlumbergera truncata (Haworth) Moran zu Hause ist oder besser gesagt, einstmals zu Hause war und wo auch Schlumbergera russeliana (Hooker) Britton et Rose auf ca. 1800 m Seehöhe vorkommt. Auf der einen Abbildung sehen Sie einen unserer Berge. "Finger Gottes" genannt, und im Vordergrund die Straße, welche aus Rio kommt und von 0 m Seehöhe bis auf 967 m ansteigt. Ebenso steigt die feucht-warme Luft von der Tiefebene auf und schlägt sich an den kühlen Bergen nieder, so daß wir an diesen Gebirgshängen sogenannte Regenwälder haben, die ihre eigene, besondere Vegetation besitzen, unter anderem eben auch Schlumbergera truncata. Schlumbergera russeliana ist oberhalb von steinigen Abhängen in nicht so dichten Wäldern zo finden, und ich denke, die Luftfeuchtigkeit dort oben dürfte viel geringer sein. Ich wohne so ungefähr 20-25 km von den Regenwäldern entfernt, und in meiner Nachbarschaft ist das Klima etwas trockener und etwas wärmer. Demzufolge ist auch die Vegetation verschieden, und während zum Beispiel anderswo eine Menge Arten von epiphytischen und terrestrischen Orchideen wachsen, gibt es in meiner Umgebung nur eine Orchidee, Catasetuum cernum der es anscheinend nur hier gefällt, denn ich habe sie noch an keiner anderen Stelle in Teresepolis gefunden. Man ist immer wieder begeistert von der Weisheit und wunderbaren Ordnung der Natur. Obwohl es in meiner unmittelbaren Nähe normalerweise keine Schlumbergeras gibt, sah ich das grösste und schönste Exemplar einer Schlumbergera truncata, das ich je in der Natur gefunden habe, nicht weit von hier oberhalb eines kleinen Flüschens, welches sie mit atmosphärischer Feuchtigkeit versorgte. Ich habe sie am 29.4.l973 mehrmals fotografiert, ansonsten aber nicht angerührt, weil sie so prachtvoll hoch auf dem Felsen über dem Flüß-
chen stand. Leider hat jedoch jemand anders sie mitgenommen, denn sie ist inzwischen nicht mehr da. Unsere Wälder werden bedauerlicherweise in zunehmendem Masse verwüstet! Ich muß eingestehen. daß ich mich mit Schlumbergeras nicht sehr gut auskenne und sie nie richtig studiert habe, was mir jetzt leid tut. Ich habe meine „Schlumbies“ im Garten dort stehen, wo gerade ein Platz für sie zu finden war zwischen Orchideen, Bromelien, epiphytischen Amaryllis und anderen Pflanzen die ich von meinen Reisen mitgebracht habe, und es war nur einem glücklichen Zufall zu verdanken daß ich eine neue Art Schlumbergera entdeckte, obendrein noch eine, die wunderschön ist und dreimal im Jahr blüht, davon einmal im Hochsommer, was ganz ungewöhnlich bei Schlumbergeras ist. Hybriden mit Schlumbergera truncata haben gleichfalls große, z T. 10 auf 12 cm messende Blüten die auch zwei- bis dreimal im Jahr erscheinen können. Der Zufall wollte es, daß ein Herr, Mitglied der brasilianischen Orchideengesellschft, gerade von einer kleinen Sammelreise in der Serra do Mar (zu deutsch: Meeres-Gebirge, Mata Atlantica) zurückkam und mich aufforderte ihn zu besuchen und mir seine Pflanzen anzusehen. Am Ende meines Besuches bot er mir an, eine Pflanze für mich auszusuchen. Mitten zwischen den Orchideen war ein kleines "Ästchen” einer Schlumbergera mit vielleicht 4 oder 5 Phyllokladien, die mir ein klein wenig verschieden erschien gegenüber den Schlumbergeras die ich bis dahin kennengelernt hatte. Neugierig geworden und schon mit der Frage beschäftigt, wie sie wohl blühen würde, äußerte ich den Wunsch, mir das Pflänzchen nehmen zu dürfen, dem sehr gern entsprochen wurde. Zu Hause pflanzte ich es sofort ein, aber ich denke, es hat über ein Jahr gedauert, bis es sich soweit erholt hatte daß eine Pfropfung auf den hier üblichen Hylocereus undatus gewagt werden konnte.**
Abb. 1 Dedo de Deus(Teresepolis), 'Finger Gottes' Teresepolis, Brasilien.
Beinahe sofort erschien eine lange, schmale, weiße Blütenknospe, und ich war überrascht, eine völlig ungewöhnliche Blume zu sehen, weit offen, weiß mit rosa Rand und morphologisch ganz verschieden von denen der landläufigen Schlumbergera truncata. Obendrein blühte die Pflanze dreimal im Jahr. Das Glück, das mir bisher geholfen hatte, wollte mich nicht auf halbem Wege stehen lassen, und so hatte ich die Ehre, im April 1975 an einer kleinen Sanmelreise teilzunehmen, welche Professor Werner Rauh, seinerzeit Leiter des Instituts für Systematische Botanik und Pflanzengeographie der Universität Heidelberg, in Brasilien unternahm um verschiedene Bromelien zu studieren. Ich versprach Professor Rauh einige Pflanzen die ihn interessierten und so schickte ich nach meiner Rückkehr ein Paket mit Vriesea pardalina, Worsleya rayneri (unsere blaue Amaryllis) und Hippeastrum calyptratum‚ eine epiphytische, grüne Amaryllis —— aber ich sandte eben auch eine meiner neuen Schlumbergeras mit, ohne daß ich ahnte, daß Dr. Barthlott, damals Assistent von Professor Rauh heute Professor am Botanischen Institut der Universität Bonn und Direktor des Botanischen Gartens‚ ein Spezialist für epiphytische Kakteen ist. Ich hätte auf der ganzen Welt keinen besseren Platz für meine kleine „Schlumbie“ finden können und hatte wiederum unglaubliches Glück! Lange Zeit hörte ich nichts aus Heidelberg, dann blühte die kleine Pflanze. und ich bekam einen Brief nach dem anderen mit Anfragen, ob ich mit Sicherheit angeben könnte daß die Pflanze aus dem Wald stammte und nicht die Züchtung eines Pflanzenfreundes wäre. Diese Zweifel waren gerechtfertigt, denn es war schon erstaunlich, eine neue Art Weihnachtskaktus in der Serra do Mar zu finden, in einem gut bekannten Gebiet, das schon seit der Kolonisierung Brasiliens besiedelt wurde Nun war es offensichtlich daß ich mich in die Wälder begeben mußte, um die Pflanze an ihrem Standort wiederzufinden und zu beweisen das es sich tatsächlich um eine neue Art handelte.
Alles in allem fuhr ich viermal nach Paraty, einem entzückenden, alten Hafenstädtchen, etwas mehr als 400 km südlich von Teresopolis, da mein Orchideen sammelnder Freund von dort aus die Serra do Mar bestiegen hatte. Ich hoffte, früher oder später "meine" Schlumbergera dort zu finden. Bei meiner 4. Exkursion durchwanderte ich eine Gegend, die „Tres Picos" (zu deutsch: Drei "Bergspitzen") heißt, und nach fünfstündigen Marsch und in einer Höhe von nahezu 1000 m sah ich auf einem großen, moosbedeckten Felsen in einem dunklen Wald einige Schlumbergeras, umgeben von Begonien, Philodendren und anderen schattenliebenden Pflanzen. Dieser Standort war verschieden von denen, die sich unsere Schlumbergeras hier normalerweise aussuchen, da sie meist epiphytisch in lichteren Wäldern wachsen. Nachdem ich aber nichts anderes gefunden hatte, nahm ich die drei Pflänzchen mit, obwohl sie ganz wie gewöhnliche Schlumbergera truncata aussahen und zum Beispiel nicht die ungewöhnlich tief eingeschnittenen und leicht gewellten Sproßglieder hatten, was mich einst veranlasst hatte, „mein' Pflänzchen zu erbitten. Zu Hause setzte ich die drei Pflänzchen auf einen Farnstamm, und als sie ein Jahr später blühten, hatten sie dieselbe runde, sich eigenartig öfinende Blüte und später dieselbe fünfkantige, gelblich-grüne Frucht wie meine erste Pflanze! Nachdem es bewiesen war, daß es sich tatsächlich um eine neue Art handelte, waren Professor Barthlott und A.J.S McMILLAN aus Bristol, England‚ so lieb, die Pflanze im American Cactus and Succulent Journal unter dem Namen Schlumbergera orssichiana zu veröffentlichen — mit der Begründung, daß es mein Verdienst gewesen wäre, zu erkennen. daß es sich um eine neue Art von Schlumbergem handeln könnte. -— Aber um die Wahrheit zu sagen— ich hatte einfach Glück, vorn Anfang bis zum Ende!
Abb. 2 Schlumbergera orssichiana in der Sammlung der Verfasserin. ***
* Alle Hybriden zwischen Schlumbergera orssichiana und Schlumbergera truncata wurden inzwischen als
Schlumbergera x reginae McMillan et Orssich (1985) beschrieben. (Epiphytes 9 (33) 8, 1985.
** Hinweise über die Kultur von Schlumbergera orssichiana siehe "Kakteenkartei" 1986/18 in Kakt. and Sukk.
Heft 6/1986
*** Webmaster Cactus Andaluz,
bei der abgebildeten Schlumbergera orssichiana handelt es sich um die später als
Klon2
bekannt gewordene Pflanze.
Literatur | ||
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BARTHLOTT. W, RAUH W. (1977): | Die Wildarten und Hybriden der Weihnachtskakteen (Gattung Schlumbergera) Kakteen und Sukkulenten 28(12) 273-278 |
|
BARTHLOTT W., Mc MILLAN A.J.S.(1978) : | A new spezies of Schlumbergera. Cact.Succ. J. Amer. 50 (1) 30-34 | |
Mc Millan, A.J.S. ORSSICH. B.(1985) : | A new Schlumbergera Hybrid: S. x reginae, Epiphytes 9(33) 8-9 | |
ORSSICH B.(1984): | The discovery of Schlumbergera orssichiana, Epiphytes 8(29) 10-12 |
Der Artikel von Gräfin Beatrix Orssich,
'Die Entdeckung und Wiederentdeckung von Schlumbergera orssichiana', wurde im September
1986(9) in der
'KuaS' veröffentlicht.
Wiedergabe des Artikels mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der KuaS.